Dorle Miesala-Edel

Kulissengespräch mit Dorle Miesala-Edel

Sie waren immer nah dran am Film. Witwe des wortgewaltigen Darstellers Alfred Edel, durch ihn bekannt mit Christoph Schlingensief und anderen vom Neuen Deutschen Film. Sie sind Mitglied im Freundeskreis des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt und pflegen langjährige Freundschaften mit Theaterleuten. Bei so vielen Innensichten können Sie sicher gut beurteilen, worin sich grundsätzlich die Wirkung von Theater und Film auf Sie unterscheidet, und welchem Medium gehört Ihre besondere Liebe?

 

M.E.
Das Nah-Dran-Sein am Filmset oder hinter der Theaterbühne ist ungemein faszinierend. Es gibt Einblicke davon, welche Spannung in der Auseinandersetzung mit unserer Zeit, unserer Umwelt steckt. Man macht dort die Erfahrung mit den Haupttugenden der Künstler. Ihre Expressivität, Phantasie, Improvisation, Aggression, auch Frechheiten und Geschmacklosigkeiten erlebt man als untrennbaren Teil ihrer künstlerischen Leistung. Es gibt so viele zu überwindende Probleme, seien diese das technische Material, das zu kleine Budget, das falsche Wetter, die Mitwirkenden, bis alles so zusammenfindet, wie es der Regisseur haben möchte. Ich bewundere die Kraft, die die Film- und Theatermacher aus tiefer Überzeugung antreibt, gegen alle Widrigkeiten ihre Idee in eigene Ausdrucksmöglichkeiten zu übersetzen. Jede solcher Vision ist mit Grenzüberschreitungen verbunden, was fälschlicherweise gerne als Provokation niedergemacht wird. Wenn die Haltung des Films oder Theaters zu seinen Figuren, der Stoff der Geschichte meine Neugier weckt, Assoziationen auslöst, über das Beispiel hinausweist oder Anregungen, Träume vermittelt, dann gehört beiden Medien meine besondere Liebe. Aber sicherlich unterscheiden sich Theater und Film darin, dass ich im Film großartigere optische Metaphern finden kann. Film überwältigt mehr. Schlingensiefs „Kettensägemassaker“ ist dafür ein Beispiel. Der Film erfasst den Schrecken über eine Wirklichkeit, wie sie erst Jahre später tatsächlich wurde. Seine Bilder haben heute ihren Einzug in die Tagesschau gefunden. Es fällt mir keine Theaterinszenierung von ebensolcher Wucht ein.

 

 

Welches Theaterstück hat Sie in den letzten Jahren stark beeindruckt, warum, und was halten Sie vom heutigen Regietheater?

M.E.
Es sind viele, an die ich mich sehr gerne erinnere. Besonders an „Michael Kohlhaas“, in der Inszenierung von Ulrich Rasche. Weil das Problem, wo ziehe ich die Linie zwischen objektiver Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit sich aktuell ja als eines zwischen Liberalen und Wutbürgern wiederfindet. Nicht zu vergessen das damalige grandiose Bühnenbild. Aus neuerer Zeit waren es die „Die Zofen“, die mich groß beeindruckt haben oder auch „Die Präsidentinnen“.

Etwa Mitte der sechziger Jahre fing es mit dem Regietheater und Autorenfilm an, das mich neugierig machte. Damals wurde im Frankfurter Theater Politik gemacht, gegen das Establishment . Es gab die „Publikumsbeschimpfung“ und es gab den „Stellvertreter“. Ideen zogen die Regisseure aus der realen Welt. Heute sucht man eher die Verknüpfung mit dem, was sich eh schon in anderen Medien verhandelt findet. Ich finde es uninteressant, wenn die gleichen, aktuellen Themen auch noch auf der Theaterbühne  abgebildet, quasi verdoppelt werden.

 

 

Wie sieht das Theater der Zukunft für Sie aus und wie sollte es sich aufstellen, um auch noch in 100 Jahren möglichst viele Zuschauer zu finden?

M.E.
Theater hat es mit der Seele des Menschen zu tun, mit dem, was uns verzweifeln, leiden, lieben lässt. Theater – auch der Film – haben ein riesiges Reservoir an Wirklichkeit und an vielen Stilmitteln für ihre Erzählungen. Deshalb wird es beide immer geben. Nur wenn es der künstlichen Intelligenz und Genforschung gelingen sollte, unsere Gefühlswelten mit Chips zu steuern, dann braucht es kein Theater mehr.

Möglichst viele Zuschauer werden auch künftig meiner Meinung nach dann erreicht, wenn das Theater vom üblichen Erzählen im Fernsehen und wo sonst auch immer abweicht. Und vor allem dann, wenn man die Schauspielerinnen und Schauspieler wieder stärker in den Mittelpunkt rückt und nicht wie das im sog. Postdramatischen Theater derzeit geschieht, eher die Aufmerksamkeit auf die Strategien von Aufführungen lenkt. Vorrangig  fesselt mich die dramatische, darstellerisch wahrhaftige Erzählung auf der Bühne sowie die vor der Kamera.

 

Sie reisen viel –In welcher Stadt spüren Sie eine besondere Inspiration für Kunst und Kultur?

M.E.
In jeder Stadt, die ein althergebrachtes Café hat, wo man mit den Leuten noch ins Gespräch kommt und von deren Begeisterung von der Kunst und Kultur ihres Ortes sich anstecken lassen kann.

 

Welche Frage würden Sie gerne beantworten die nicht gestellt wurde?

M.E.
Welchen Film schauen Sie immer wieder?
Das Casanova-Projekt  – ein Film für und mit Alfred Edel von der Künstlergruppe Arnold Hau. Die ließ ihn, als Probeaufnahmen getarnt, „seine Fähigkeit, mit größtmöglichen Ernst unterschiedslos die glanzvollsten wie die abwegigsten Ideen umsetzen, bei denen beispielsweise ein Pappkarton als Bleikammer diente“

Herzlichen Dank für Ihre Antworten.

Angela Biller FdS
Interview + Foto